Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Wenns nicht rockt isses fürn Arsch. (Antoine de Saint-Exupéry)

Gerade in gebildeten Kreisen, aber auch im Bildungsbürgertum hat das Zitat von Antoine de Saint-Exupéry über das zu bauende Schiff und die dafür zu schaffende Sehnsucht nach dem Meer Gewicht.

"Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen. Sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer."

Im Klassik – Marketing nimmt man sich den Rat des Kleinen Prinzen - Autors nicht so zu Herzen. Abgewandelt auf Opern – und Sinfonieveranstaltungen könnte das Zitat so klingen:

„Wenn du kein neues Publikum ins Konzert bekommen möchtest dann präsentiere einen Konzertsaal keinesfalls als Ort der Magie, sondern zeige Hochglanz -  Bilder mit Anzügen, Ballkleidern und alten und gut situierten Menschen darauf.“  

Ich würde noch hinzufügen: „Zeige das Orchester bei der Arbeit  – aber bitte so langweilig wie möglich“ und das erste Zitat ausweiten auf “Wenn dir die Akzeptanz der breiten Bevölkerung egal ist”.

Was ist so schwer daran zu verstehen dass man, wie Watzlawick sagt, „nicht nicht kommunizieren kann?“ Jede Fotostrecke von Probenarbeiten auf Social Media die es verabsäumt ein Minimum an Spannung hervorzurufen wirkt für Noch Nicht – Klassiker im besten Fall wie ein Scrollfinger - Motor.  Im schlimmsten Fall wie eine Spachtel, die hurtig dabei hilft das Bild von langweiliger Musik zu zementieren. Wäre De Saint-Exupéry so wie ich mit Punk sozialisiert worden würde er es heute vielleicht so formulieren: „Wenns nicht rockt isses fürn Arsch.“

Warum mich dieses „Sehnsucht hervorrufen” so beschäftigt? Weil eine meiner Sehnsüchte  darum kreist, in einem Konzert meine Synapsen bis zur Extase in Vibration versetzt zu bekommen, mich am Sitz fest zu krallen und im allerbesten Fall benebelt aus dem Konzert zu wanken.  Das ist es eigentlich auch schon.

Sehnsucht nach etwas zu vermitteln ist selbst für sehr erfahrene Fotografen schwer. Dass bei sinfonischer Musik keine beeindruckenden Bühnenaufbauten und keine Lightshow als Aufhänger herhalten können macht es nicht leichter. Denn schließlich geht es darum, magische Momente einzufangen, an die auch Menschen andocken können, die mit Klassik bis dato nichts am Hut hatten.

Ich habe diese Sehnsucht nach Mozart, Bruckner und Mahler, weil ich im Konzert als Fotograf oder als Besucher Erfahrungen gemacht habe, die ich mit Worten nicht beschreiben kann und die ich immer wieder machen möchte.

Fotografie kann diese Erfahrungen nicht vermitteln.  Aber sie kann die Vorstufe zur Sehnsucht hervorrufen: Neugierde.

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Energetisch, dynamisch, zum Sterben langweilig.

„Warum wurde die Sprache erfunden?“ fragt  Robin Williams als Professor Keating seine Schüler. „Um zu kommunizieren?“ „Nein, um Frauen zu umwerben“.

Was die Sprache der Klassik – Kritik betrifft könnte es sein dass diese erfunden wurde um Neulingen das Gefühl zu geben dass es sich bei Konzerten um genau diese Art von Veranstaltung handelt die man tunlichst vermeiden sollte – wollte man nicht zu Tode gelangweilt werden – selbst wenn es sich um gefeierte Produktionen handelt.

Natürlich hat jede Kunstform ihre eigenen Begriffe und Codes und es macht Spaß, sich mit ihnen zu beschäftigen, herauszufinden wie denn das, was sich die Autorin, der Autor in der verbalen Formulierung überlegt hat, klingen mag. Meine Vermutung ist aber, dass sich viele Kritikerinnen und Kritiker der Einfachheit halber hinter Plattitüden verstecken. Schließlich ist es viel leichter von “transzendent anmutender Wandlungsfähigkeit” und der “Brillianz, entsprungen einer pittoresken Korrespondenz” zu berichten anstatt den Funken überspringen zu lassen.

Ich weiß schon: “Talking about music is like dancing about architecture”, und Zappa hat natürlich recht.

Es hilft halt nichts: War man nicht dabei, möchte man zumindest lesen wie es war. Aber wenn unsere großartige Sprache, die in der Lage ist Frauen und Männer zu verführen, zu beruhigen, Angst einzujagen und schmerzvolle Sehnsucht zu wecken in Kritiken den Charme und die Begeisterung eines durchgesessenen Ohrenstuhls besitzt, wie soll jemand, der sich noch nicht für klassisch Musik interessiert, darin einen Anknüpfungspunkt finden? Das, sagen wir, etablierte Publikum, stört es aus unerfindlichen Gründen nicht, mit Plattitüden bedient zu werden.

Ob mich eine Konzertkritik interessiert oder nicht hat übrigens nichts damit zu tun, wie schnell jemand zum Punkt kommt oder ob die Sprache klar formuliert ist. Selbst der ausschweifende Reich – Ranicki schaffte es immer wieder, mir das Gefühl zu geben, ein Buch unbedingt lesen zu müssen – und sei es aus Trotz. Und das, obwohl das TV - Setting des literarischen Quartetts den optische Inbegriff des Biedermeiers darstellte und ich seinen Gedankengängen aufgrund fehlendem Wissens über Literatur oft nicht folgen konnte.  Und wissen Sie warum? Weil Reich – Ranicki Leidenschaft an den Tag legte.

 

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Klar kannste fotografieren.

Auch wenn man als gelernter Österreicher der Meinung ist einer gemütlichen Volksgruppe anzugehören – ganz im Gegensatz zu den verkrampften deutschen Kollegen –  für Orchesterfotografie  wie ich sie betreibe trifft das nicht zu.

Ich werde mich hüten, aus dem Emailverkehr und Telefonaten mit manchen heimischen Orchestern und Häusern zu zitieren.  Aber während Fotogenehmigungen aus Deutschland in der Regel unkompliziert und flott in meinem Emailpostfach gelandet sind – ebenso wie die anschließende Erlaubnis für die Veröffentlichung – so scheint´s, als müssten in Österreich mehrere Instanzen durchlaufen werden, bevor man einem betriebsfremden Fotografen den Zutritt zu den heiligen Hallen gewährt. Als ob ich mit meiner Fotografie der Musik etwas anhaben könnte. Das ging sogar so weit, dass man mir den Zutritt mit meiner Kamera einmal verweigerte – obwohl mich der Dirigent für das Shooting eingeladen hatte. Ich war natürlich trotzdem drinnen. Da man aber die Fotografien eindeutig dem betreffenden Haus zuordnen konnte sah ich dann doch von einer Veröffentlichung ab.

Mein Deal mit Veranstaltern und Häusern ist von Anbeginn an immer der gleiche: Ich verlange kein Honorar, das Orchester erhält alle Fotografien fertig ausgearbeitet kostenlos und ich darf nach Absprache zwei oder drei Bilder in mein Buch aufnehmen. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang der Zugang eines Orchesters aus einer westlichen, am Innfluss gelegenen Landeshauptstadt , dessen zusätzliche Forderungen mich laut auflachen ließen.

Das soll keinesfalls bedeuten, dass ich keine gute Erfahrungen mit heimischen Veranstaltern und Orchestern hatte, ganz im Gegenteil. War der Instanzenweg einmal erfolgreich beschritten, wurde ich überaus freundlich willkommen geheißen. Äußerst unkompliziert waren beispielsweise die Salzburger Osterfestspiele, die mein Kooperationsangebot, dem Publikum einen neuen Blick hinter die Kulissen zu gewähren, unkompliziert annahmen.

So absurd ist der Gedanke, mit Fotografie der Musik zu schaden für manche übrigens gar nicht.  Der eine oder andere  Musikkritiker ernster Natur sieht es gar nicht gerne, wenn klassische Musik auf Tiktok verbreitet wird, vielleicht sogar mit einem “Boah, geil” kommentiert.

Eines ist klar: Meine Fotografien zu veröffentlichen zeugt von Aufgeschlossenheit, weil ich ganz bewusst künstlich erzeugte Klischees demontiere. Das kratzt natürlich an der Eitelkeit eines Images, das man sich über Jahrzehnte erarbeitet hat und das für eine bestimmte Klientel immer noch bestens funktioniert.

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Was hinter “Orchestrapunk” steckt.

„Punk bedeutet die Freiheit alles zu mögen und anzunehmen, was einem gefällt." Dieses Zitat wird Kurt Cobain zugeschrieben und beinhaltet so ziemlich alles was Punk für mich bedeutet. Aber eben nicht nur: Punk bedeutet auch laut und deutlich zu sagen was einem nicht gefällt.

Der Grund warum ich mich des Themas klassische Musik fotografisch annehme liegt in der Beobachtung, dass viele sehr musikaffine Menschen nie den Weg in ein klassisches Konzert finden. Grundsätzlich könnte mir das ja egal sein wer welche Musik hört. Ist es auch. Persönlicher Musikgeschmack ist zutiefst heilig und im Grunde unumstößlich. Da ich aber eine Mischung aus Vorurteilen und katastrophaler Musikvermittlung hinter der Ablehnung von Klassik vermute liegen diese Texte und die dazugehörigen Fotografien nun vor Ihnen.

Ein weiterer Grund Konzerthäuser großräumig zu umschiffen mag die Attitüde sein, mit der sich Klassische Musik umgibt. Es gibt durchaus viele Menschen, die sich von elitärem Auftreten eher abgeschreckt als angezogen fühlen. Ich bin mit diesem Fotoprojekt, dass 2025 als Buch erscheinen soll angetreten, um die Vorurteile gegenüber klassischer Musik zu demontieren.

Was Sie hier erwartet sind Fotografien klassischer Musiker:innen wie Sie sie vielleicht noch nie zu Gesicht bekommen haben. Zum einen entstanden alle Fotografien fast ausschließlich in Situationen in denen die Musiker:innen keine Chance hatten sich noch schnell die Haare zu richten; zum anderen verwende ich eine raue und direkte Bildsprache, um der Musik das Schwülstige zu nehmen. Gerade das Fehlen von Anzügen, Ballkleidern und professionellem Lächeln - Kernmerkmale des Klassik - Marketings - macht den Reiz dieser Fotografien aus. Die prominenteste Unterstützung für meine Arbeit bekam ich von Sir Simon Rattle, der sich bei mir mit den Worten : "We need more of that!" bedankte.

Wie der Titel schon verrät liebe ich sowohl Punk als auch Klassik. Punk, weil er die demokratischste aller Musikstile ist: Jeder der etwas zu sagen hat kann sich ein Instrument vom Altstoffsammelzentrum besorgen, eine Band gründen und wird seine Zuhörer finden. Klassische Musik kann mich mauloffen und ratlos zurück lassen weil es nicht in meinen Kopf geht wie jemand eine so unfassbar bewegende Musik erschaffen konnte. Und manchmal stolpere ich orientierungslos an der Hand meiner Frau aus dem Konzertsaal weil die Welt plötzlich doch nicht so ist wie ich immer geglaubt habe.

Ich habe zwar eine Zeit lang Musik studiert, bin aber keineswegs Klassik -Experte. Zumindest nicht in höherem Maße als indem ich Sex Pistols, - Kraftwerk -, Miles Davis - oder Depeche Mode - Experte bin.

Klassische Musik wird hierzulande oftmals als Musik für reiche, hoch gebildete und alte Menschen angesehen. Als Punk kann ich es nicht stehen lassen, dass das Marketing für eine Kunstform, die für alle da ist, manche Menschen gedanklich ausschließt. Somit begegne ich in diesem Buch Orchestern, Dirigent:innen und Aufführungshäusern mit den Augen eines gnadenlos ehrlichen Liebhabers, der neben seiner Liebe zu kreischenden Gitarren und dahinholzenden Bässen eine regelrechte Sucht nach Brahms, Bruckner, Mozart und Mahler entwickelt hat.

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Vom Vorteil, 3 Minuten lang nicht mit dem Hintern zu wetzen.

Ja, im Konzerthaus sollte man sein Mundwerk für eine Zeit lang halten. Trotzdem ist ein Orchestersaal ist kein Ort, an dem man sich vor Ehrfurcht gebückt in den Sessel drücken muss.

Natürlich tauchen bei Neulingen Unsicherheiten bezüglich des korrekten Verhaltens auf. Machen Sie sich keine Sorgen. Mit jedem Konzert finden Sie schneller heraus, welche Reaktionen von Konzert-Mitbesuchern Sie getrost ignorieren können und wie Sie diesen Menschen erfolgreich aus dem Weg gehen.

Ich für meinen Teil weine gern im Konzert, (lautlos, um niemanden zu stören) oder ich kanalisiere meine Begeisterung mit Festkrallen an meiner Ehefrau. Oder, auch das ist mir schon passiert – ich schlafe vor Langweile ein und versuche nicht zu schnarchen. Wie auch immer – ich versuche, im Konzert so wenige Geräusche wie möglich zu verursachen. Und das hat seinen Grund. (Gute) Konzerthäuser sind architektonisch so gebaut, dass sie die leisesten Töne über hunderte Köpfe ohne Verstärkung hinweg weiter transportieren – was ja auch Sinn macht. Schließlich hat jeder, der sein gutes Geld gegen eine Konzertkarte eingetauscht hat das Recht alles zu hören was von der Bühne kommt. Zum anderen bedienen sich Komponist:innen, um ihre Stories zu transportieren einer besonderen Technik, Dynamik genannt, dem Wechselspiel von laut und (extrem) leise.

Ein gutes Beispiel für Dynamik ist der 2. Satz von Beethovens 7. Sinfonie. Was als fein gesponnner Spinnenfaden beginnt endet – wenn der Dirigent was drauf hat - in einer Wall of Sound, die einen in den Sitz drückt - wie ein guter Rocksong. Mit dem zusätzlichen Bonus dass es in den knappen 8 Minuten ein Universum von Klängen und eine so subtile Steigerung der Lautstärke zu erleben gibt, dass jeder DJ vor Neid erblasst.

Ein anderes Stück für dass es sich lohnt kurz nicht mit dem Hinterteil zu wetzen kennen Sie bestimmt: Edvard Griegs “In der Halle des Bergkönigs” aus der Peer Gynt Suite das sich von relativ ruhig zu sehr laut steigert. Natürlich kann man sich damit begnügen, die Melodie “ta ta ta ta ta ta taaa” nach zu summen. Man versäumt dann halt das geheimnisvolle Sich - Öffnen des Berges, die tapsenden Schritte der Gnome, das Zwiegespräch zwischen Elfen und Trollen, kurz: Die Fantasiewelt, die sich der der bemitleidenswerte Peer in Ermangelung von Internet zusammengeschustert hat, um der Realität zu entfliehen.

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Wo sind die Rolemodels?

Jüngst war ich auf einer Adventfeier im Kindergarten meines Sohnes. Und wie das in einem Dorf so üblich ist, wurde der Adventkranz gesegnet. Was mich dabei beeindruckt hat war, dass der Pastoralassistent zusammengebundene Haare trug die ungeöffnet locker bis zu den Ellbogen gereicht hätten. Und da er die Haare nun einmal zusammen gebunden trug sah man auch, dass sein Schädel links und rechts fast kahlrasiert war. Ich kenne diesen Mann kaum, aber würde ich von seiner Frisur auf seine Haltung schließen würde ich sagen er ist ein Revoluzzer, jemand der den Wunsch und den Mut hat die Institution von innen aufzubrechen und Dinge ins Rollen zu bringen.

Tatsächlich sehe ich gewisse Parallelen zwischen Kirche und Klassik: Je traditionsreicher das Orchester desto geringer scheint das Interesse, neue Bilder in die Köpfe der Menschen zu platzieren.

Ich habe einen Google - Versuch gestartet und zuerst „Identifikationsfiguren Rockmusik“ und anschließend „Identifikationsfiguren klassische Musik“ eingegeben und jeweils die Bildersuche aktiviert. Bei ersterem kamen Fotografien von Musikern aus mehreren Epochen, oft live fotografiert, die Spielfreude und Extase im Gesicht. Bei zweiterem erschienen Fotografien von Sinfonie-Orchestern vor einer Wand oder im Konzertsaal mit den Instrumenten in der Hand (!) mal einen kürzeren, mal einen längeren Stock verschluckt. Jeder Marketingexperte aus der Popkultur hätte den Fotografen sofort gefeuert. (Rockmusik - Anfänger erkennt man übrigens daran, dass sie auf Fotos ihr Instrument in der Hand halten. Die Profis konzentrieren sich darauf, Atmosphäre zu schaffen. Dies nur so am Rande)

Die Bilder dieser Rolemodels, wenn man sie überhaupt so nennen will, sind für Klassikneulinge so relevant wie für mich ein leeres Nutellglas. Menschen, die der Meinung sind, dass Klassik eine elitäre Musikrichtung ist - und die sich mit diesem Image nicht identifizieren können - lockt man mit Hochglanzablichtungen von Ballkleidern, Smokings und verklärtem Blick nicht ins Konzerthaus.

„Rolemodels“, so höre ich den einen oder anderen laut denken, „sind aber etwas für Teenager die sich in einer Orientierungsphase befinden.“ Da muss ich widersprechen. Wäre dem so, gäbe es keine Werbung mit pensionierten Fußballern oder über 70jährigen TV - Moderatoren.

 

 

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"Rattle!" "Nein, Pappano, du taube Nuss!”

Ein bekannter deutscher Comedian erzählte einmal in einem Radiointerview folgende Geschichte: „Als ich zum ersten mal bei meiner jetzigen Frau zu Hause eingeladen war sah ich mir ihre Plattensammlung durch. Und ich sage Ihnen: Hätte ich nur eine einzige Bon Jovi – Platte gefunden, ich wäre wieder gegangen.“

Nun ist dieser Comedian ganz gewiss kein Klassikfanatiker oder Jazz-Purist. Ich glaube viel eher, dass für ihn Bon Jovi der Inbegriff des weichgespülten Möchtegern -Hardrocks ist, eine aufgeblasene Chimäre aus Kommerz und unglaubwürdiger Rocker - Attitüde. Mit einem Wort: Unehrlich.

Taren – Ida Ackermann und Julia Merill fanden in einer Studie über Abneigung gegenüber bestimmter Musikstile heraus, dass nicht nur die Musik und die Texte selbst eine Rolle spielen sondern auch in großem Maße die Soziologie - man sich also nicht unbedingt wegen der Töne oder Worte angezogen oder abgestoßen fühlt sondern wegen der Menschen, die diese Musik hören. Und das trifft natürlich auch und insbesondere auf klassische Musik zu.

Als Punk - und Klassikfan verstehe die Anti - Bon Jovi Haltung zutiefst. Die Identifikation mit bestimmten Bands ist ein wichtiger Teil von mir. Diese Bands drücken mit ihrer Musik, ihren Texten, ihrem Auftreten das aus, was ich nicht in Worte fassen kann. Das bedeutet auch, dass ich mich wie besagter Comedian unter keinen Umständen von Bon Jovi vertreten lassen würde. So wie dieser nicht mit einer Frau verheiratet sein wollte, die halbherziges Rockerdasein mit halbverzerrten Gitarren und halblangen Haaren als cool empfindet, so wollen sich viele Menschen nicht damit outen etwas cool zu finden das, sagen wir mal, „Ernste Musik“ ist. Verständlicherweise.

Spannend ist aber Folgendes: Versuchen Sie mal, einem Slayer - Fan zu erklären, warum Iron Maiden die bessere Band ist. Viel Spaß. Innerhalb der Klassik, die ebenso vielschichtig ist wie laute Gitarren - Musik existiert diese strikte Trennung zwischen Interpreten oder Komponisten interessanterweise nicht. Zumindest kann ich mir die Aussage eines Tschaikowski – Fans „Wenn ich nur eine einzige Vivaldi – Platte gefunden hätte – ich wäre wieder gegangen“ nicht vorstellen. Auch ein Schreiduell „Rattle!“ „Nein, Pappano, du taube Nuss!“ halte ich für nicht so häufig.

Diese Wertfreiheit oder Offenheit innerhalb der klassischen Musik gibt mir als jemand, der seine Identität durchaus auch aus der Musik schöpft ein Stück Freiheit, einfach nur die Musik zu genießen ohne mich darum kümmern zu müssen ob ich irgendwo dazu gehören will oder nicht.

 

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Bitte nicht unterhalten werden!

Wir haben alle in der Schule gelernt, dass Musik zumindest in zwei Kategorien eingeteilt werden kann: Unterhaltungsmusik und ernste Musik.

Als junger Schüler habe ich mir Konzertbesucher immer als alte Menschen vorgestellt die mit versteinerter Miene Musikern zuhören die ebenfalls mit versteinerter Miene ihre Instrumente bedienen. Ich erinnere mich wie uns der Musikprofessor (mit versteinerter Miene) einmal einen Beethoven - Konzertausschnitt auf einem monströsen TV- Gerät aus dem vorherigen Jahrtausend präsentierte: Wenn die Musiker schon ernst waren, dann war es der Dirigent erst recht. In meiner Vorstellung sanktionierte dieser jede Gefühlsregung eines Musikers sofort mit dem Taktstock. Und ob der Dirigent vor dem Publikum halt machen würde wenn es nicht ernst genug war - wie sollte ich das als elfjähriger beurteilen?

Eine andere Einteilung die ich noch lächerlicher finde als "unterhaltend" und "ernst" ist die in „Kunstmusik“ und Unterhaltungsmusik“ – zumindest im deutschen Sprachgebrauch. Da gibt es also tatsächlich Menschen die mir einreden wollen dass mittelmäßige klassische Musikstücke mehr Wert besitzen als "Anarchy in the UK" von den Sex Pistols, das bekanntlich eine Revolution ausgelöst hat. Völlig absurd wird der Gedankengang wenn man bedenkt, dass man sich bei Kunstmusik der Gefahr aussetzt unterhalten zu werden.

Was den monetären Wert betrifft stimmt diese Einordnung aber: Ein Musikstück, dass unter die Kategorie „Ernste Musik“ fällt wird von Verwertungsgesellschaften wie der AKM oder GEMA um ein vielfaches höher vergütet als ein schnödes Stück Unterhaltung - auch weil es einfach seltener gespielt wird.

Tatsache ist: Die Unterteilung in „ernst“ und „unterhaltend“ ist Marketing: Wer ernste Musik hört gehört zu einem elitären, gebildeten Kreis– so zumindet der Soziologe Pierre Bourdieu. Wer das nicht tun, ist einfach zu dumm dafür und hat Pech gehabt. Klassische Musik ist also, so absurd das klingt, in gewisser Weise ein Statussymbol. Dass es innerhalb der Klassik Stücke gibt, die man getrost als Easy Listening bezeichnen kann und manche Rocksongs so intensiv wirken dass sie tatsächlich - im positiven Sinne - versteinerte Mienen hervorrufen – daran hat in der Musikindustrie offenbar noch niemand gedacht. Natürlich, heutzutage kräht kein Hahn mehr danach ob ein Musikstück als ernst oder unterhaltend angesehen wird. Das Problem ist aber, dass sich diese Begriffe in unsere Sprache und in unser Denken eingeprägt haben wie ein Keksausstecher in den Mürbteig. Der Teig ist ja der gleiche geblieben - aber vielleicht könnte man ja einen neuen Ausstecher ausprobieren.

 

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Ich will aber nicht immer Sex haben.

Dass klassische Musik emotionslos ist, ist ein beliebtes Vorurteil – und in gewisser Weise stimmt auch, wenn man einen direkten Vergleich mit einem Rockkonzert bemüht. Besser gesagt: Es handelt sich um andere Emotionen. Der Druck aus den Lautsprechern, der Bass, der eine bösartige Beziehung mit Diskant-Gitarren eingeht, in den Magen drückt und in die Beine fährt besitzen die Kraft, unglaubliche Glücksgefühle auszulösen. Natürlich tickt da jeder anders, aber für mich fühlt sich das an wie Sex. Mick Jagger soll ja gesagt haben dass Rock´n´Roll ein Ersatz für Sex ist. Aber ich will vielleicht nicht immer Sex haben.

Während ich die Emotionen die bei einem guten Rockkonzert entstehen leicht zuordnen kann gelingt mir das bei einem klassischen Konzert nicht so einfach. Nehmen wir zum Beispiel Anton Bruckner. Bruckner war ein Meister darin, einen relativ aufgeräumten Gemütszustand zu präsentieren – um dann dem Publikum seine Ängste und Zweifel ungefragt um die Ohren zu hauen. Das kann durchaus anstrengend sein - die Frage ist ja auch ob ich wirklich einen so tiefen Blick in die Psyche eines anderen Menschen werfen möchte.

Natürlich weiß ich, dass ich mich bei einem Konzertbesuch mancher Komponisten auf eine Art Seelenstrip einstellen muss, zum Beispiel beim vierten Satz von Mahlers Fünfter, Samuel Barbers Adagio oder Edward Elgars Cello Konzert in E - Moll. Das ist nichts für Weicheier. Man braucht schon eine einigermaßen stabile Persönlichkeit um der Welt nach dem Konzert noch eine Chance zu geben.

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Wenn Welten aufeinander stoßen, klirrt das Champagnerglas.

Teure Weine, das Leben genießen, exklusive Locations - damit wird klassische Musik im Marketing gerne Verbindung gebracht – was Menschen mit kleinerem Gelbeutel zurecht abschreckt – und sich diametral zur Lebenswelt der Erschaffer verhält:

Vivaldis Körper liegt unter dem Beton-Fundament eines Universitätsgebäudes nachdem er verarmt und unbeachtet starb; Robert Schumann wollte sich im Rhein ersäufen; Schostakowitsch musste für Stalin komponieren und Bach konnte von einem Glas edlen Tropfens vermutlich nur träumen. Und obwohl Bononchinis Menuett gefühlt jede zweite Telefonschleife zu einer Geduldsprobe macht (glauben Sie mir - das Stück kennen Sie!) musste sich dieser am Lebensende als Kopist durchschlagen weil er alles verzockt hatte.

Sie kennen bestimmt die Oper Carmen. Bizet, der Komponist der meistgespielten Oper der Welt starb als schnöder Klavierlehrer an seiner Zigaretten-Leidenschaft bevor er vom Erfolg von "Carmen" etwas mitbekommen konnte. Dass Mozart verarmt starb und in einem Grab dritter Klasse bestattet wurde weiß man ja noch aus dem Musikunterricht. Aber Mozart litt auch unter Verfolgungswahn, Angststörungen und Depressionen - was ein Psychotherapeut heute vermutlich mit Erfolgsdruck in der Kindheit erklären würde. Schubert bezeichnete sich selbst als "den unglücklichsten und elendsten Menschen der Welt" und verendete mit 31 als Alkoholiker. Dass Beethoven, vorsichtig formuliert, kein angenehmer Zeitgenosse war reflektiert sich auch eher selten in Champagnergläsern. Klirren tun sie trotzdem.

Die Klassik, so scheints, hat sich seit dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts von einem Bild der heilen Welt vereinnahmen lassen und wirkt dabei so authentisch wie ein Mary Poppins - Film. Das diese nicht so ist und dass viele Komponist:innen genau dem in ihren Werken Rechnung tragen wird halt ignoriert.

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