Bitte nicht unterhalten werden!

Wir haben alle in der Schule gelernt, dass Musik zumindest in zwei Kategorien eingeteilt werden kann: Unterhaltungsmusik und ernste Musik.

Als junger Schüler habe ich mir Konzertbesucher immer als alte Menschen vorgestellt die mit versteinerter Miene Musikern zuhören die ebenfalls mit versteinerter Miene ihre Instrumente bedienen. Ich erinnere mich wie uns der Musikprofessor (mit versteinerter Miene) einmal einen Beethoven - Konzertausschnitt auf einem monströsen TV- Gerät aus dem vorherigen Jahrtausend präsentierte: Wenn die Musiker schon ernst waren, dann war es der Dirigent erst recht. In meiner Vorstellung sanktionierte dieser jede Gefühlsregung eines Musikers sofort mit dem Taktstock. Und ob der Dirigent vor dem Publikum halt machen würde wenn es nicht ernst genug war - wie sollte ich das als elfjähriger beurteilen?

Eine andere Einteilung die ich noch lächerlicher finde als "unterhaltend" und "ernst" ist die in „Kunstmusik“ und Unterhaltungsmusik“ – zumindest im deutschen Sprachgebrauch. Da gibt es also tatsächlich Menschen die mir einreden wollen dass mittelmäßige klassische Musikstücke mehr Wert besitzen als "Anarchy in the UK" von den Sex Pistols, das bekanntlich eine Revolution ausgelöst hat. Völlig absurd wird der Gedankengang wenn man bedenkt, dass man sich bei Kunstmusik der Gefahr aussetzt unterhalten zu werden.

Was den monetären Wert betrifft stimmt diese Einordnung aber: Ein Musikstück, dass unter die Kategorie „Ernste Musik“ fällt wird von Verwertungsgesellschaften wie der AKM oder GEMA um ein vielfaches höher vergütet als ein schnödes Stück Unterhaltung - auch weil es einfach seltener gespielt wird.

Tatsache ist: Die Unterteilung in „ernst“ und „unterhaltend“ ist Marketing: Wer ernste Musik hört gehört zu einem elitären, gebildeten Kreis– so zumindet der Soziologe Pierre Bourdieu. Wer das nicht tun, ist einfach zu dumm dafür und hat Pech gehabt. Klassische Musik ist also, so absurd das klingt, in gewisser Weise ein Statussymbol. Dass es innerhalb der Klassik Stücke gibt, die man getrost als Easy Listening bezeichnen kann und manche Rocksongs so intensiv wirken dass sie tatsächlich - im positiven Sinne - versteinerte Mienen hervorrufen – daran hat in der Musikindustrie offenbar noch niemand gedacht. Natürlich, heutzutage kräht kein Hahn mehr danach ob ein Musikstück als ernst oder unterhaltend angesehen wird. Das Problem ist aber, dass sich diese Begriffe in unsere Sprache und in unser Denken eingeprägt haben wie ein Keksausstecher in den Mürbteig. Der Teig ist ja der gleiche geblieben - aber vielleicht könnte man ja einen neuen Ausstecher ausprobieren.

 

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"Rattle!" "Nein, Pappano, du taube Nuss!”

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Ich will aber nicht immer Sex haben.