Was hinter “Orchestrapunk” steckt.
„Punk bedeutet die Freiheit alles zu mögen und anzunehmen, was einem gefällt." Dieses Zitat wird Kurt Cobain zugeschrieben und beinhaltet so ziemlich alles was Punk für mich bedeutet. Aber eben nicht nur: Punk bedeutet auch laut und deutlich zu sagen was einem nicht gefällt.
Der Grund warum ich mich des Themas klassische Musik fotografisch annehme liegt in der Beobachtung, dass viele sehr musikaffine Menschen nie den Weg in ein klassisches Konzert finden. Grundsätzlich könnte mir das ja egal sein wer welche Musik hört. Ist es auch. Persönlicher Musikgeschmack ist zutiefst heilig und im Grunde unumstößlich. Da ich aber eine Mischung aus Vorurteilen und katastrophaler Musikvermittlung hinter der Ablehnung von Klassik vermute liegen diese Texte und die dazugehörigen Fotografien nun vor Ihnen.
Ein weiterer Grund Konzerthäuser großräumig zu umschiffen mag die Attitüde sein, mit der sich Klassische Musik umgibt. Es gibt durchaus viele Menschen, die sich von elitärem Auftreten eher abgeschreckt als angezogen fühlen. Ich bin mit diesem Fotoprojekt, dass 2025 als Buch erscheinen soll angetreten, um die Vorurteile gegenüber klassischer Musik zu demontieren.
Was Sie hier erwartet sind Fotografien klassischer Musiker:innen wie Sie sie vielleicht noch nie zu Gesicht bekommen haben. Zum einen entstanden alle Fotografien fast ausschließlich in Situationen in denen die Musiker:innen keine Chance hatten sich noch schnell die Haare zu richten; zum anderen verwende ich eine raue und direkte Bildsprache, um der Musik das Schwülstige zu nehmen. Gerade das Fehlen von Anzügen, Ballkleidern und professionellem Lächeln - Kernmerkmale des Klassik - Marketings - macht den Reiz dieser Fotografien aus. Die prominenteste Unterstützung für meine Arbeit bekam ich von Sir Simon Rattle, der sich bei mir mit den Worten : "We need more of that!" bedankte.
Wie der Titel schon verrät liebe ich sowohl Punk als auch Klassik. Punk, weil er die demokratischste aller Musikstile ist: Jeder der etwas zu sagen hat kann sich ein Instrument vom Altstoffsammelzentrum besorgen, eine Band gründen und wird seine Zuhörer finden. Klassische Musik kann mich mauloffen und ratlos zurück lassen weil es nicht in meinen Kopf geht wie jemand eine so unfassbar bewegende Musik erschaffen konnte. Und manchmal stolpere ich orientierungslos an der Hand meiner Frau aus dem Konzertsaal weil die Welt plötzlich doch nicht so ist wie ich immer geglaubt habe.
Ich habe zwar eine Zeit lang Musik studiert, bin aber keineswegs Klassik -Experte. Zumindest nicht in höherem Maße als indem ich Sex Pistols, - Kraftwerk -, Miles Davis - oder Depeche Mode - Experte bin.
Klassische Musik wird hierzulande oftmals als Musik für reiche, hoch gebildete und alte Menschen angesehen. Als Punk kann ich es nicht stehen lassen, dass das Marketing für eine Kunstform, die für alle da ist, manche Menschen gedanklich ausschließt. Somit begegne ich in diesem Buch Orchestern, Dirigent:innen und Aufführungshäusern mit den Augen eines gnadenlos ehrlichen Liebhabers, der neben seiner Liebe zu kreischenden Gitarren und dahinholzenden Bässen eine regelrechte Sucht nach Brahms, Bruckner, Mozart und Mahler entwickelt hat.